SPIELFELD
Gedichte · Pjesme · Poems
Das Hin und Her von Bällen, Schüsse die Sitzen, erwartete Fouls und verdiente Niederlagen: Ein Spielfeld ist ein liminaler Ort, an dem sowohl leichtfüßige Auslotung als auch gewaltsames Festlegen stattfinden können. Mal geht es ausgelassen zu, mal geht es um den Kragen. Spielfeld ist auch der Name des Grenzüberganges nach Österreich, der gerade für Migrant_innen einen wichtigen Erinnerungsort darstellt. So auch für die Autorin Olja Alvir. In ihrer ersten Lyriksammlung führt sie die unterschiedlichen Valenzen des Wortes Spielfeld zu einer vielfältigen Gedichtsammlung zusammen. Der dreisprachige Gedichtband (Deutsch, B/K/S, Englisch) spielt nicht nur mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs, sondern hüpft auch über die Grenzlinien zwischen den Sprachen.
das ich ist eine provinz
eine wiederholungsanstrengung
mit falsch ausgeschickten wurzeln
das meer zu umreißen
Spielfeld
Gedichte · Pjesme · Poems
Kollektiv Verlag Graz
104 Seiten, Softcover
13,00 Euro
2016 wählte die „Arbeitsgemeinschaft für Kartographische Ortsnamenkunde“ erstmals einen Ortsnamen des Jahres. Es gewann „Spielfeld“. Begründung: Es sei ein „Synonym für das Dilemma Österreichs und Europas, einen Mittelweg zwischen menschlicher Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen und praktischen Erfordernissen zu finden“.
Der Anblick des Grenzübergangs Spielfeld ist ungewöhnlich und bizarr. Fast hypnotisierend drehen sich im Wind die bunten Teile der riesigen dreieckigen Installation über den Grenzhäuschen. Das gezwungen fröhliche, aber schiefe Lächeln des buchstäblichen Spielfeldes über den Menschenströmen und Polizei- beziehungsweise Bundesheeruniformen stellt eine Text-Bild-Schere sondergleichen dar. Nicht nur während verstärkten Fluchtbewegungen, sondern allgemein wirkt die Benennung zynisch, wenn man an die lange und komplizierte Geschichte dieses Grenzpunktes denkt. Für die einen bedeutet der Anblick des Grenzüberganges Spielfeld Vorfreude, Entspannung, Urlaub und andere meerwärts gerichtete Gedanken, für die anderen ist es der Erinnerungsort an die Fluchtgeschichte. So auch für die Autorin Olja Alvir, die während des Jugoslawienkrieges mit ihrer Familie nach Österreich kam.
Der Gedichtband teilt die Faszination mit dem Ortsnamen, versucht jedoch, was als „praktischen Erfordernisse“ verschleiert wird, als strukturelle Gewalt zu enttarnen. Was steckt dahinter, dass dieser historisch so bedeutsame Ort ausgerechnet mit der Aktivität des Spielens in Verbindung gebracht wird? Alvir Gedichte befragen die Oberflächen eines zeitgenössischen Identitäts- und Migrationsdiskursen und fangen dessen Inkonsistenzen und Dissonanzen ein, um auf Tiefergründiges hinzuweisen. Etwa das Bewusstsein, dass hinter dem Lachen beizeiten etwas Dunkles wummert sowie die Hoffnung, dass es in der Ausgelassenheit und Kollektivität Auswege aus dem „Gedankenschraubstock“ gibt.
vor langer Zeit war hier ein Meer
der böse Zwilling der Heimat
die Erinnerung daran ist unheilbar
und seither
hat sich nichts mehr ausgezahlt
Der dreisprachige Gedichtband thematisiert die Grenze nicht nur als willkürlichen Abgrund zwischen Nationalstaatskonstrukten, sondern auch im Bezug auf das Ich, Du und Wir. Die Autorin, die in ihrem Leben den Wandel ihrer Ersprache von Serbokroatisch/Kroatischserbisch in drei bis vier Nationalsprachen namens B/K/M/S beobachtete, verschreibt sich nun der Vermischung, Verschmelzung und dem Konsequenten Grenzübertritt zwischen Sprachen. Die prominente Kritikerin des „Deutschdiktats“ im medialen und politischen Mainstream kontaminiert ihr Deutsch (Österreichisch?) mit polyphonen und -glotten Bezügen, wodurch ein vielschichtiger, heterogener Bedeutungsfilm entsteht. Nicht zuletzt finden sich in Spielfeld auch zahlreiche Texte rund um Fragen der Identität und ihrer Konstitution über Sprache(n). Ausgelotet wird dies nicht selten auch durch genussvolles Hin-und-Her Passen.
wir werden es
in diesem leben
zu nichts bringen
außer zueinander
Im Sinne der gemeinschaftlichen Aktivität, die Spielen im Optimalfall darstellt, enthält Spielfeld mehrere Kollaborationen, etwa Illustrationen der Multimedia-Künstlerin Anna Kohlweis sowie Übersetzungen und Zusammenarbeit mit den Autor_innen und Literaturübersetzer_innen Mascha Dabić, Katja Grcić, Moira Walsh, Clemens Braun und Stjepanka Pranjković.